Hercule Poirots archäologische Methoden

AGATHA CHRISTIE UND DIE ARCHÄOLOGIE

Als Autorin von Kriminalromanen mit einer Milliardenleserschaft braucht Agatha Christie nicht weiter vorgestellt zu werden. Weniger bekannt ist ihre archäologische Seite: Durch die Ehe mit dem Archäologen Max Mallowan lebte sie an dessen Seite viele Jahre im vorderen Orient und arbeitete aktiv bei den Ausgrabungen mit – mit entscheidendem Einfluss auf ihre literarische Tätigkeit.

Agatha Christie wurde 1890 geboren und wuchs in der viktorianischen Villa Ashfield in Torquay an der Südküste von England auf. Zwar hatte sie rasch schriftstellerischen Erfolg, privat verliefen die frühen Jahre jedoch eher unglücklich. Bereits der Tod ihrer Mutter 1926 hatte sie stark mitgenommen und als ihr erster Mann, der Luftwaffen-Offizier Archiebald Christie, ihr eine Affäre gestand, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch.

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Werbung für den Orient Express

Erst nach der Scheidung dieser Ehe fühlte sie sich frei, dahin zu reisen, wohin es ihr gefiel. Im Herbst 1928 buchte sie ziemlich spontan ein Ticket für den Orient-Express, fuhr bis Bagdad und reiste von da nach Ur, zu Leonard Woolleys Ausgrabungen. Dort wurde sie warmherzig empfangen, da Katherine Woolley, die Ehefrau des Ausgräbers, eine begeisterte Leserin ihrer Romane war. Ur, eine der ältesten summerischen Stadtgründungen, war eine der wichtigsten Ausgrabungen in Mesopotamien. Besonders im Königsfriedhof machten die Woolleys aufsehenerregende Entdeckungen.

Mit dieser Orientreise und vielen weiteren, die noch folgen sollten, steht Agatha Christie in der Tradition der britischen Orient-Reisenden der 1920er und 1930er Jahren. Die zahlreichen Kriminalromane, die in Zügen, Schiffen und Hotels spielen, zeugen von ihrer Leidenschaft für das Reisen. Zwar „nur“ Belgier, verkörpert Hercule Poirot in den Romanen am Besten den reisenden Gentleman des frühen 20. Jahrhunderts. Er ist, wie Agatha Christie und die Menschen ihrer Klasse, das Reisen gewohnt, wird aber meist von Unannehmlichkeiten geplagt, wie fremdes Klima, fremde Sitten und fremde Mentalitäten. Auch wenn seine Eitelkeit oft darunter leidet, weiss er ironisch distanziert damit umzugehen.

Auch der „Tod auf dem Nil“ ist in diesem Milieu angesiedelt. Insbesondere das Old Cataract Hotel auf der Insel Elephantine im ägyptischen Assuan wurde ein Treffpunkt für europäische Luxustouristen und Ausgangspunkt für Nilkreuzfahrten. Ein berühmter Gast war Howard Carter, der mit der Entdeckung des Grabes des Tutanchamun eine Ägyptomanie ausgelöst hatte.

Agatha Christies Interesse an der Archäologie folgte durchaus dem allgemeinen gesellschaftlichen Trend dieser Zeit und hatte nicht nur biographische Ursachen: Die Kurzgeschichte „Das Abenteuer des Ägyptischen Grabes“ schrieb sie bereits 1924, noch vor ihrer ersten Orientreise. Sie basiert auf den Schilderungen der Entdeckung des Tutanchamun-Grabes und des kurz darauf folgenden Tods von Lord Carnarvon, der diese Ausgrabung finanzierte.

Agatha Christie und Max Mallowan
Agatha Christie und Max Mallowan

Bei ihrem ersten Besuch in Ur war ihr zukünftiger Mann, Max Mallowan, noch abwesend. Bei einem Zweiten im Jahr 1930 erhielt dieser dann den Auftrag, Agatha auf einer Tour die lokalen Sehenswürdigkeiten zu zeigen und sie schliesslich zurück nach England zu begleiten. Ihre Eindrücke als Touristin in Ur beschrieb Agatha folgendermassen:

Der Zauber der Vergangenheit nahm mich gefangen. Die Sorgfalt, mit der Töpfe und Krüge ans Tageslicht geholt wurden, erfüllte mich mit dem sehnsüchtigen Verlangen, selbst Archäologin zu sein.

Als entscheidendes Erlebnis schilderte Max einen Ausflug in den nahe gelegenen Ort Nippur: Nach einem Hand-in-Hand-Spaziergang um den Ukhaidir-Palast entschlossen sich die beiden spontan zu einem Bad im nahen Salzsee. In diesem ungelegenen Augenblick hatte das Auto eine Panne und sie waren in der Wüste gestrandet. Nach dem überstandenen Abenteuer beschloss der 14 Jahre jüngere Max, dass er mit Agatha sein Leben verbringen wolle.

Auf Max‘ Frage, ob sie etwas dagegen habe, dass sein Beruf darin bestand, „Tote auszugraben“, antwortete Agatha: „Überhaupt nicht, ich liebe Leichen und Tote.“ Auch das folgende Zitat wird ihr oft zugeschrieben: „Heiraten Sie nur einen Archäologen. Je älter Sie werden, desto interessanter findet er Sie.“ Allerdings fälschlicherweise. Eigentlich handelt es sich um eine Stichelei, die von einem Journalisten in die Welt gesetzt wurde.

Katherin Woolley machte klar, dass in Ur keine anderen Ehefrauen willkommen waren. Max wollte aber Agatha bei sich auf den Grabungen haben und sah sich deshalb gezwungen, einen anderen Arbeitsplatz zu suchen. Er bekam das Angebot von Reginald Campbell Thompson, in Ninive einen archäologischen Tiefschnitt zu leiten. Anhand dessen konnte erstmals eine chronologische Abfolge der frühen Perioden Assyriens erstellt werden. Die Mallowans wurden unvermittelt zu Experten für prähistorische Keramik. Besonders faszinierten sie die Halaf- und Ninive-5-Keramik, die auch in Agathas Romanen mehrfach auftauchen.

Agatha Christie beaufsichtigt Arbeiter
Agatha Christie beaufsichtigt Arbeiter

Das Interesse für prähistorische Zeiten bewog Max Mallowan dazu, eine erste selbstständige Grabung in Tell Arpachiyah durchzuführen, das sechs Kilometer östlich von Ninive liegt. Zuvor belegte Agatha einen Zeichenkurs, um massstabsgetreu zeichnen zu lernen. Trotzdem gelang ihr das Zeichnen auf der Grabung nur schwer und so war sie fortan als Laborantin für die Fotografien zuständig. Daneben entdeckte sie ihre Begeisterung für das Restaurieren der Keramik. Dies kam ihrer Leidenschaft zum Puzzlespielen entgegen und sollte noch auf vielen Kampagnen eine grosse Hilfe sein.

Nach dem 2. Weltkrieg führten die Mallowans Ausgrabungen in Nimrud durch. Hier half Agatha insbesondere beim Reinigen der Elfenbeinstücke, die in grosser Zahl gefunden wurden. Trotz der intensiven Mitarbeit bezahlte sie nicht nur ihre Grabungsaufenthalte selbst, sondern unterstützte diese auch als anonyme Spenderin und ab und zu schenkte sie sogar die Rechte eines Kriminalromanes der Ausgrabung.

In „Tod auf dem Nil“ dienen die ägyptischen Altertümer hauptsächlich als Kulisse für eine Hercule-Poirot-Story, Agatha setzte sich in einigen anderen Werken aber auch intensiv mit der altägyptischen Geschichte auseinander und adaptierte die Quellen geschickt in die Erzählungen. Die Detektivgeschichte „Rächende Geister“ spielt im Theben der 11. Dynastie, auf Grundlage der Hekanacht-Briefe aus dieser Epoche. Diese entstand in enger Zusammenarbeit mit Stephen Glenville, der Professor der Ägyptologie war und zum Freundeskreis der Mallowans gehörte.

Agatha Christies "Akhnaton"
Agatha Christies „Akhnaton“

Im Anschluss an eine Nilreise und die Bekanntschaft mit Howard Carter schrieb Agatha 1937 das historische Drama „Akhnaton“. Das Theaterstück wurde jedoch erst 1973 veröffentlicht und nie aufgeführt. Literatur- und geistesgeschichtlich steht es im Kontext der Echnaton-Forschung der 20er- und 30er-Jahre, als Echnaton als pazifistischer Religionsstifter verherrlicht wurde. Sie hielt sich auch hier an die damals bekannten historischen Fakten, was auch dieses Drama für den Ägyptologen überaus reizvoll macht.

Zwar bilden der Orient und die archäologischen Stätten im „Tod auf dem Nil“ nur eine Kulisse, dafür zieht Hercule Poirot in diesem Roman die engsten Parallelen zwischen detektivischer und archäologischer Vorgehensweise. Agatha Christie lässt Poirot Erläuterungen seiner detektivischen Arbeit in Analogien zur archäologischen Fundaufnahme und Interpretation finden:

Einmal wurde ich zu einer archäologischen Expedition gerufen, und ich habe dort etwas gelernt. Wenn bei einer Grabung etwas aus dem Boden kommt, wird alles Umliegende sehr sorgfältig gesäubert. Man nimmt die lose Erde weg, man kratzt hier und dort mit einem Messer, bis schliesslich der Gegenstand hervorkommt, um ganz für sich gezeichnet und fotografiert zu werden, ohne dass irgendetwas Umliegendes die Aufzeichnung verwirrt. Genau das habe ich versucht zu tun, das nicht Dazugehörige beiseitezuschaffen, sodass wir die Wahrheit und nichts als die nackte Wahrheit sehen können.“

Damit nahm sie Einfluss auf den gesellschaftlichen Stellenwert der Archäologie: Nicht mehr die sensationelle Archäologie machte Eindruck, sondern die archäologische Empirie. Und es veranschaulicht, was Agatha Christie an der Archäologie so faszinierte und weswegen die Ehe mit Max Mallowan auch in beruflicher Hinsicht auf geradezu einzigartige Weise eine Symbiose bildete.

Weiterführende Informationen:

  • Charlotte Trümpler (Hrsg.): Agatha Christie und der Orient. Bern – München – Wien, 1999.
  • Agatha Christie: Agatha Christie: An Autobiography. London, 1977.
  • Agatha Christie: Eine Erinnerung an glückliche Tage: Aus meinem Leben. Bern, 1998.
  • Agatha Christie: Death on the Nile. London, 1937.
  • Max Mallowan: Mallowan’s Memoirs. London, 1977.

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