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Der ungarische Mathematiker Paul Erdős (1913-1996) meinte, dass man als Mathematiker, wenn nicht an Gott, so doch wenigstens an das BUCH glauben sollte, in welchem Gott die perfekten Beweise für mathematische Sätze aufbewahrt.
Martin Eigner und Günter Ziegler wagten eine Annäherung an eben jenes BUCH, eine Sammlung mit besonders „schönen“ Beweisen. Mit Ausnahme einiger kleinerer Abänderungen betrachten wir im folgenden Erdős‘ Beweis für das „Bertrandsche Postulat“ aus jenem „BUCH der Beweise“.
![](https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/9a/Bertrand.jpg/220px-Bertrand.jpg)
Der Mathematiker Joseph Bertrand (1822-1900) stellte 1845 die Behauptung auf, dass es zwischen jeder natürlichen Zahl und ihrem Doppeltem immer eine Primzahl gibt. Formaler ausgedrückt:
Für jedes existiert eine Primzahl
mit
.
Bertrand verifizierte die Behauptung für natürliche Zahlen bis . Einen ersten vollständigen Beweis für das sog. „Bertrandsche Postulat“ lieferte Pafnuty Tschebyschef im Jahr 1850. Der vorliegende Ansatz beruht auf einem Beweis aus einem Aufsatz vor Paul Erdős, der 1932 erschien, als jener gerade mal 19 Jahre alt war.
Beweisprinzip:
Wir werden einen Widerspruchsbeweis (Reductio ad absurdum) durchführen, indem wir die Grösse des Binomialkoeffizienten so genau abschätzen, dass wir zeigen können, dass der Binomialkoeffizient „zu klein ausfallen würde“, wenn er keine Primfaktoren im Bereich
hätte.
Die „Oper“ hat insgesamt 5 Akte:
1. Akt: Das Bertrandsche Postulat für
Zunächst zeigen wir, dass das Bertrandsche Postulat für gilt. Dafür müssen wir nicht alle 4000 Fälle prüfen. Es genügt, wenn man folgende Primzahlen betrachtet:
2, 3, 5, 7, 13, 23, 43, 83, 163, 317, 631, 1259, 2503, 4001
Jedes Intervall für
enthält eine dieser Primzahlen.
– – – – – – – –
2. Akt: Eine untere Abschätzung für
Lemma:
Für gilt die Abschätzung
Beweis:
- Wir wenden den binomischen Lehrsatz auf
an:
- Wir ziehen den ersten und den letzten Summanden aus der Summe hinaus:
- Da
auf jeden Fall der grösste Binomialkoeffizient ist (siehe auch im Pascalschen Dreieck unten), können wir 2 und
jeweils mit
abschätzen, insgesamt addieren wir diesen Koeffizienten somit 2n mal:
- Nun brauchen wir nur noch 2n „rüberzudividieren“:
Veranschaulichung im Pascal’schen Dreieck:
Das Pascal’sche Dreieck ist ein Schema zur Darstellung der Binomialkoeffizienten . Es entspricht der Vorschrift, dass jede Zahl die Summe der beiden über ihr stehenden Zahlen ist. Den Koeffizienten
findet man dabei in der n-ten Zeile an der k-ten Stelle (beide ab Null gezählt).
Das gleiche Dreieck in Binomialkoeffizienten:
Berechnen wir , summieren wir also alle Zahlen in der n-ten Zeilen des Pascal’schen Dreiecks, was
entspricht.
Im obigen Beweis sind nur die geraden Zeilen von Bedeutung. Daraus resultiert: .
Alle geraden Zeilen im Pascal’schen Dreieck enthalten jeweils ein „mittleres“ Element, das jeweils entspricht und jeweils der grösste Koeffizient einer Zeile ist. Alle anderen Koeffizienten kommen jeweils doppelt vor.
– – – – – – –
3. Akt: Eine Abschätzung für das Produkt über alle Primzahlen
Lemma:
Für jede reelle Zahl gilt:
.
Wir schätzen also das Produkt aller Primzahlen bis x mit ab.
Grafisch veranschaulicht ist die Kurve einer Exponentialfunktion und
hat eine „Treppenform“, die jeweils bei einer Primzahl einen „Sprung“ macht. Wir müssen also zeigen, dass die „Treppe“ nie über die „Kurve“ hinausgeht:
Der Beweis erfolgt mittels vollständiger Induktion:
Induktionsanfang: x = 2
.
Induktionsschritt:
Da 2 die einzige gerade Primzahl ist, müssen wir die Behauptung nur noch für ungerade Zahlen zeigen:
Sei mit
. Die Aussage gelte für
.
Zu zeigen ist also, dass gilt: .
- Wir teilen das Produkt „geschickt“ in 2 Produkte auf:
- Da m+1 in der Induktionsvoraussetzung für 2m enthalten ist, gilt:
- Da letzterer Term
sein soll (und
bereits darin enthalten ist), müssen wir nur noch zeigen, dass
- Wir schätzen dieses Produkt mit einem Binomialkoeffizienten ab:
Überlegung dazu: In (2m+1)! ist auf jeden Fall jede Primzahl zwischen m+1 und 2m+1 enthalten. Im Nenner wird jedoch kein Primfaktor grösser als m+1 rausgekürzt. Unsere gewünschten Primzahlen bleiben also in der Primfaktorenzerlegung von erhalten.
Veranschaulicht im Pascal’schen Dreieck:
Die Binomialkoeffizienten sind jeweils in einer ungeraden Zeile eines der beiden „Mittleren“. Die Summe über einer ungeraden Zeile ergibt in diesem Fall
. Die Summe der beiden „mittleren“ Koeffizienten ist also sicher kleiner als
und da sie jeweils paarweise vorkommen, können wir durch 2 dividieren.
- Für die Abschätzung wenden wir diesmal den binomischen Lehrsatz auf
an:
- Diesmal ziehen wir die beiden „mittleren“ Koeffizienten aus der Summe hinaus:
- Da wir von oben abschätzen, können wir die restliche Summe „weglassen“ und erhalten dadurch die Ungleichung
– – – – – – –
Zwischenspiel: Die Identität von Legendre
Sei . Für die Vielfachheit einer Primzahl p in der Primfaktorenzerlegung von n! gilt:
Die Vielfachheit sagt aus, wie oft eine Primzahl p in der Primfaktorenzerlegung einer Zahl n vorkommt.
Dies lässt sich leicht nachvollziehen: Genau der Faktoren von
sind durch
teilbar, was uns
p-Faktoren liefert. Weiter sind
der Faktoren von
sogar durch
teilbar, was die nächsten
Primfaktoren
von
liefert, usw.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die Vielfachheiten der Zahlen von 2 bis 10 und der Primzahlen 2, 3, 5 und 7.
Wenn wir nun die Vielfachheit von
berechnen, dann addieren sich die Vielfachheiten der Faktoren. Beispiel:
– – – – – – –
4. Akt: Die Primfaktorzerlegung von
Nach der Identität von Legendre enthält den Primfaktor
genau
Mal.
Beobachtungen:
- Jeder Summand ist höchstens 1, weil er
erfüllt.
- Die Summanden verschwinden sogar, wenn
ist.
- Jede Primzahl p potenziert mit ihrer Vielfachheit ergibt also immer höchstens 2n.
- Beispiel: Sei n = 15 und damit
. Wir wissen, dass die Potenz
nicht in der Primfaktorenzerlegung von
vorkommen kann, da
.
- Primzahlen
die grösser als
sind, sind höchstens einmal in
enthalten.
- Im Bereich von
ist die Vielfachheit einer Primzahl p gleich 0! D.h. Primzahlen p teilen im Bereich
den Binomialkoeffizienten
überhaupt nicht! Das ist der Knackpunkt in Erdős‘ Beweis!
- Für
(und
, und damit
) sind nämlich p und 2p die einzigen Vielfachen von p, die als Faktoren im Zähler von
auftauchen, während wir zwei p-Faktoren im Nenner haben.
- Beispiel: Sei n = 15 und damit
. Bereits aufgrund unserer Erkenntnisse können wir sagen, dass „sehr kleine“ Primfaktoren
in höherer Potenz in
auftauchen können, „kleine“ Primzahlen mit
bzw. in unserem Beispiel
tauchen höchstens einmal auf und Primfaktoren im Intervall
bzw.
tauchen überhaupt nicht auf.
Für die Vielfachheit gilt also:
– – – – – – –
5. Akt: Das grosse Finale
Nun können wir abschätzen (für
):
Und weil es nicht mehr als Primzahlen
gibt:
Für den Widerspruchsbeweis nehmen wir nun an, dass es keine Primzahl p gibt zwischen n und 2n.
Wenn es keine Primzahl gibt mit
, so ist in der obigen Ungleichung das zweite Produkt gleich 1.
Nun setzen wir noch die Abschätzung (siehe 3. Akt) ein und erhalten:
Umgeformt ergibt sich:
Dies ist für grosse n () auf jeden Fall falsch! Und für n kleiner als 4000 haben wir Bertrand’s Postulat eh schon bewiesen.
q.e.d. 🙂
– – – – – – –
Nachspiel: Geht es noch besser?
- Aus unserer Ungleichung kann man noch mehr herausholen. So kann man aus
für
herleiten, dass es mindestens
Primzahlen im Bereich zwischen n und 2n gibt.
- Der Primzahlsatz besagt, dass die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Grösse nicht mehr als ungefähr 10% nach unten und nach oben von der logarithmischen Funktion
abweicht.
- Eine Verschärfung von Bertrands Postulat ist der Satz von Sylvester, der besagt, dass der Binomialkoeffizient
immer einen Primteiler
hat.
- Viele Fragen bleiben jedoch bis heute unbeantwortet, etwa ein Beweis der Riemannschen Vermutung oder der Frage, ob es zwischen
und
immer mindestens eine Primzahl gibt.
– – – – – – –
Weiterführende Informationen:
- M. Aigner, G. M. Ziegler: Das BUCH der Beweise. 2. Auflage, 2004, insb. S. 7-13.
- P. Erdős: Beweis eines Satzes von Tschebyschef. In: Acta Sci. Math. 5 (1930-1932), S. 194-198. (Online)
- P. Ribenboim: Die Welt der Primzahlen. Geheimnisse und Rekorde. 2. Auflage, 2004.
- U. Dudley: Elementary Number Theory. 2008, insb. S. 177-179.
- de.wikipedia.org: Bertrandsches Postulat
- youtube.com: Das Bertrandsche Postulat